Als Mutter gefühlsstarker Kinder und selbst gefühlsstark ausgeprägt, weiß ich aus eigener Erfahrung, wie intensiv und herausfordernd diese Persönlichkeitsmerkmale sein können. Die Welt unserer Kinder ist lauter, bunter und manchmal überwältigender als für andere. Unsere Aufgabe als Eltern ist es, ihnen einfühlsam zur Seite zu stehen und ihnen zu helfen, mit ihren intensiven Emotionen umzugehen.
In diesem Artikel möchte ich dir einige wertvolle Einblicke und Impulse geben, wie du dein gefühlsstarkes Kind unterstützen kannst, um ein harmonisches und erfülltes Familienleben zu ermöglichen.
Was bedeutet gefühlsstark?
Der Begriff „gefühlsstark“ wurde maßgeblich von der Autorin und Journalistin Nora Imlau geprägt. Gefühlsstarke Kinder erleben Emotionen intensiver und unmittelbarer als andere. Wissenschaftlich gesehen ist diese Intensität auf die Reizverarbeitung im Gehirn zurückzuführen. Das limbische System, insbesondere die Amygdala, reagiert bei diesen Kindern stärker auf emotionale Reize. Dies führt dazu, dass sie besonders viel Unterstützung bei der Regulation ihrer Emotionen benötigen.
Gefühlsstark ist auch eine Stärke
Nora Imlau
Gefühlsstärke: Eine angeborene Persönlichkeitseigenschaft
Es ist wichtig zu verstehen, dass gefühlsstarke Kinder keine Folge von Erziehungsfehlern sind. Diese emotionale Sensibilität ist angeboren und beruht auf genetischen Faktoren. Solche Kinder brauchen nicht unbedingt „Erziehungskorrekturen“, sondern vielmehr eine angepasste Unterstützung, um ihre emotionalen Reaktionen besser zu regulieren und zu verstehen.
Die Welt aus der Sicht eines gefühlsstarken Kindes
Stell dir vor, du bist in einem geschlossenen Schwimmbad, umgeben von lauten Geräuschen und intensiven Gerüchen. Was für andere Menschen nur eine kleine Unannehmlichkeit darstellt, kann für ein gefühlsstarkes Kind überwältigend sein. Ihre Emotionen sind so intensiv, dass selbst alltägliche Situationen in extreme Reaktionen münden können.
Konkrete Fallbeispiele aus dem Alltag
Übergänge vom kühlen Drinnen ins warme, nasse, laute Draußen
Ein Beispiel für solche Herausforderungen ist der Übergang vom ruhigen Innenbereich eines Hauses ins geschäftige, laute Schwimmbad. Die plötzliche Temperaturänderung, die Geräusche und die vielen visuellen Eindrücke können zu einem emotionalen Überlauf führen.
Beispiel: Der Besuch im Schwimmbad
Wenn ein Kind beim Betreten des Schwimmbads weint oder sich weigert, weiterzugehen, kann das für Eltern sehr stressig sein. Eine hilfreiche Strategie besteht darin, dem Kind sanft zu erklären, was als Nächstes passiert, kleine Pausen einzulegen und es langsam an die neue Umgebung heranzuführen. Dies kann helfen, die Intensität der Reize zu verringern und dem Kind ein Gefühl von Sicherheit zu geben.
Die Stärken gefühlsstarker Kinder
Gefühlsstarke Kinder bringen nicht nur Herausforderungen mit sich, sondern besitzen auch bemerkenswerte Stärken. Sie sind oft besonders empathisch, kreativ und verfügen über eine lebhafte Fantasie. Diese Kinder zeigen tiefes Mitgefühl und sind in der Lage, außergewöhnliche kreative Ideen zu entwickeln. Berühmtheiten wie Albert Einstein, Steve Jobs und Astrid Lindgren sind Beispiele für Menschen, die ihre emotionale Intensität und Kreativität erfolgreich genutzt haben.
Unterstützung durch einen trainierten Vagusnerv
Der Vagusnerv spielt eine zentrale Rolle bei der Regulation des autonomen Nervensystems, was für die emotionale Stabilität von großer Bedeutung ist. Ein gut trainierter Vagusnerv kann helfen, Stress abzubauen und die emotionale Balance zu fördern. Studien zeigen, dass Übungen wie tiefe Atemtechniken und Meditation die Aktivität des Vagusnervs steigern können.
Praktische Übung zur Vagusnerv-Stärkung:
Atme tief durch die Nase ein, bis tief in deinen unteren Bauch. Lege dafür die Hände auf den unteren Bauch.
Atme langsamer durch den Mund aus und stelle dir vor, dass du alles ausatmest, was dich belastet.
Farbkodierung: Atme eine helle, kraftvolle Farbe ein und eine schwere, belastende Farbe aus.
Wiederhole dies für 5 Minuten täglich.
Diese Technik ist wissenschaftlich fundiert und kann helfen, Stress zu reduzieren und emotionale Stabilität zu fördern. Studien belegen, dass tiefe, bewusste Atemübungen die Aktivität des Vagusnervs steigern können, was zu einer besseren emotionalen Regulation beiträgt (siehe z.B. Lehrer et al., 2012 und der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie).
Gefühlsausbrüche: Lang und intensiv
Gefühlsausbrüche können bei gefühlsstarken Kindern lang und intensiv sein. Besonders Wut hat eine hohe Energie, die auf gesunde Weise ausgedrückt werden sollte. Methoden wie Tanzen, Kitzeln (wenn das Kind es mag), in eine Decke rollen, durchkneten, Atemübungen und andere körperliche Aktivitäten können hilfreich sein. Es ist wichtig, dass „Stopp“ und „Nein“ sofort eingehalten werden, um Sicherheit und Wohlbefinden zu gewährleisten.
Wie kannst du dein gefühlsstarkes Kind unterstützen?
Emotionale Präsenz zeigen: Dein Kind braucht das Gefühl, dass du da bist. Sätze wie „Ich bin hier. Das Gefühl wird vorbeigehen, versprochen“ können Trost spenden. Studien zeigen, dass emotionale Unterstützung die Intensität von Gefühlsausbrüchen verringern kann (z.B. durch die Arbeiten von Cummings & Davies, 2010).
Individualität anerkennen: Jedes Kind ist einzigartig. Manche benötigen Nähe, andere Distanz. Es gibt keine universelle Lösung – wichtig ist, dass du die Gefühle deines Kindes anerkennst und begleitest.
Gefühle begleiten, nicht unterdrücken: Unterdrückte Gefühle können langfristig zu Problemen führen. Dein Kind darf lernen, seine Gefühle zu fühlen, benennen und zu verstehen, ohne dass diese unterdrückt oder bestraft werden.
Grenzen setzen und Sicherheit gewährleisten: Es ist wichtig, Grenzen zu setzen, um die Sicherheit aller zu gewährleisten. Das kann auch bedeuten, sich selbst eine Pause zu gönnen und das Kind in sicheren Umgebungen zu lassen.
Geduld und Verständnis: Die Herausforderung, mit den Blicken anderer und gut gemeinten Ratschlägen umzugehen, ist groß. Doch deine Geduld und dein Verständnis sind entscheidend für die emotionale Entwicklung deines Kindes. Jeder begleitete Gefühlsausbruch bringt euch näher zu einem stabilen und glücklichen Familienleben.
Wie viele Menschen sind gefühlsstark?
Ungefähr 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung wird als besonders gefühlsstark beschrieben. Diese Zahlen variieren je nach Definition und Messmethoden, aber sie zeigen, dass gefühlsstarke Kinder keine Seltenheit sind. Diese Kinder sind ein bedeutender Teil der Gesellschaft und bringen einzigartige Perspektiven und Stärken mit sich.
Kulturelle und individuelle Unterschiede
In verschiedenen Kulturen und Familien werden gefühlsstarke Menschen unterschiedlich wahrgenommen. Historisch wurden solche Kinder oft bestraft oder gezwungen, ihre Gefühle zu unterdrücken, was langfristig zu psychischen Problemen wie Sucht oder Depressionen führen konnte.
Heute ist das Bewusstsein für emotionale Sensibilität gewachsen, und einige Kulturen nehmen schon längst die Stärken gefühlsstarker Menschen an. Zum Beispiel setzen bestimmte indigene Kulturen auf die emotionale Intelligenz ihrer Mitglieder und fördern deren Stärken in Gemeinschaftsentscheidungen und Ritualen.
Langfristige Strategien und Ziele
Eine wichtige langfristige Strategie ist die Förderung von Resilienz und Selbstregulation bei Kindern. Eltern können diese Fähigkeiten unterstützen, indem sie ein unterstützendes Umfeld schaffen, emotionale Bildung anbieten und regelmäßig Techniken zur Stressbewältigung wie die Atemübung und Meditation integrieren. Diese Maßnahmen helfen Kindern, ihre Emotionen besser zu verstehen und zu kontrollieren, was langfristig zu einer stabileren emotionalen Entwicklung führt.
Beispiele für gelungene Integration in den Alltag
Beispiel bei Übergängen:
Wenn dein Kind Schwierigkeiten hat, von einer Aktivität zur nächsten zu wechseln, kannst du folgende Schritte ausprobieren, um den Übergang sanft zu gestalten:
Vorbereitung: Informiere dein Kind frühzeitig über den bevorstehenden Übergang. Zum Beispiel könntest du sagen: „In fünf Minuten ist es Zeit, aufzuräumen und zum Mittagessen zu gehen. Lass uns die letzten Minuten des Spiels genießen.“
Sanfter Übergang: Baue eine kleine Übergangsaktivität ein, um den Wechsel zu erleichtern. Zum Beispiel könntest du gemeinsam ein kurzes Lied singen oder eine kurze, entspannende Übung machen, die das Ende der Spielzeit signalisiert.
Emotionale Unterstützung: Wenn dein Kind Schwierigkeiten hat, mit dem Übergang umzugehen, zeige Verständnis und Mitgefühl. Sage Dinge wie: „Ich sehe, dass es dir schwerfällt, aufzuhören. Das ist in Ordnung. Ich bin hier, um dir zu helfen.“
Energie rauslassen: Ermögliche deinem Kind, überschüssige Energie durch körperliche Aktivitäten abzubauen. Lass es tanzen, laufen, springen, pusten, Sandkissen gegen die Wand werfen, malen oder klatschen. Diese Aktivitäten können helfen, die Emotionen zu regulieren und den Übergang leichter zu machen.
Beruhigungsphase: Nach dem Übergang nimm dir Zeit für eine Phase der Beruhigung. Das kann durch Kuscheln, ein ruhiges Gespräch oder ein gemeinsames Buch geschehen. Bestätige alle Gefühle deines Kindes und unterstütze es dabei, seine Emotionen als wichtigen Teil des Lebens zu sehen.
Beispiel bei Gefühlsausbrüchen:
Wenn dein Kind einen Gefühlsausbruch hat, beispielsweise im Supermarkt, kannst du folgende Strategien anwenden:
Ruhig bleiben: Bewahre Ruhe und zeige Gelassenheit, um die Situation nicht weiter zu verschärfen. Mache dir bewusst, es sind nicht deine Gefühle. Alle Gefühle sind richtig und wichtig.
Gefühle anerkennen: Sage Dinge wie: „Ich sehe, dass du gerade sehr wütend bist. Das ist okay, es ist normal, solche Gefühle zu haben.“
Energie rauslassen: Biete deinem Kind Möglichkeiten, überschüssige Energie abzubauen, wie durch Springen, Stampfen, Pusten, Hände schütteln oder Klatschen. Diese körperlichen Aktivitäten können dabei helfen, die emotionale Spannung abzubauen.
Sicherheit schaffen: Suche, wenn möglich, einen ruhigeren Ort auf, um euch gemeinsam zu beruhigen. Das kann ein weniger belebter Bereich im Supermarkt oder ein kurzer Spaziergang nach draußen sein. Für kleinere Kinder kann auch das auf dem Arm tragen schon Sicherheit geben.
Nachbesprechung: Nachdem sich die Situation beruhigt hat, besprecht gemeinsam, was passiert ist. Hilf deinem Kind zu verstehen, warum es so überwältigend war und was es tun kann, wenn es erneut in eine ähnliche Situation kommt.
Diese Ansätze unterstützen nicht nur das aktuelle emotionale Wohlbefinden deines Kindes, sondern fördern auch die langfristige emotionale Entwicklung. Sie helfen dabei, ein besseres Verständnis für intensive Gefühle zu entwickeln und diese konstruktiv zu bewältigen.
Zusammenfassung und Call-to-Action
Gefühlsstarke Kinder benötigen besondere Unterstützung und Verständnis. Ihre intensiven Emotionen sind keine Fehler, sondern Teil ihrer einzigartigen Persönlichkeit. Mit Geduld, viel Verständnis und liebevoller Begleitung kannst du deinem Kind helfen, sich zu einem emotional stabilen und kreativen Erwachsenen zu entwickeln. Du bist nicht allein auf diesem Weg. Vernetze dich mit anderen Eltern, suche Unterstützung und bleibe offen für neue Ansätze.
Dein Call-to-Action:
Nimm dir heute Zeit, eine der vorgestellten Methoden auszuprobieren. Beobachte, wie dein Kind darauf reagiert, und passe deine Ansätze an seine individuellen Bedürfnisse an. Jeder kleine Schritt zählt und bringt euch näher zu einem harmonischeren Zusammenleben. Achte dabei auch auf deine Ressourcen und Grenzen.
Als Elternteil gefühlsstarker Kinder gehst du oft über deine Grenzen hinaus. Du darfst dir und deinem Kind Hilfe und Unterstützung suchen.
Weiterführende Unterstützung:
Bücher: "So viel Freude, so viel Wut", "Meine Grenzen sind dein Halt" von Nora Imlau
Kinderbücher: „ Das Land der Gefühle“ und „Was steckt hinter meiner Wut“ von Mira & das fliegende Haus, "Und was fühlst du Känguru" von Nora Imlau.
Brettspiel: „Alle meine Gefühle innen und außen“ Ciha.
Resilienz-Trainings (Stark auch ohne Muckis, Superlöwe, usw.)
Lade dir auch mein kostenloses, hilfreiches PDF-Dokument „Tipps zur Unterstützung gefühlsstarker Kinder“ herunter, um weitere praktische Tipps und Unterstützung zu erhalten.
Dein Engagement, Verständnis, Geduld und deine Liebe sind der Schlüssel zu einem erfüllten und glücklichen Leben für dein Kind. Gemeinsam können wir den Weg zu einem harmonischen Familienleben ebnen.
Quellenangaben
Imlau, N. (2020). So viel Freude, so viel Wut: Wie Sie Ihr Kind bei Gefühlsstürmen unterstützen können.
Lehrer, P., et al. (2012). The effect of slow, deep breathing on stress and stress-related disorders. Journal of Clinical Psychology.
Cummings, E. M., & Davies, P. T. (2010). Emotion Regulation and Emotional Expression in Families. Routledge.
Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM). (2019). Der Vagusnerv und seine Rolle in der emotionalen Regulation.
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